Bentley Flying Spur S Hybrid: Auch nur ein Auto, haben sie gesagt
Der freundliche Bentley Mitarbeiter ist sich sicher: Wenn man einen Kleinbus vermag schadenfrei durch die Stadt zu lenken, dann würde das auch mit dem Flying Spur funktionieren. Der kleine, aber feine Unterschied: Dieses Exemplar kostet 321.000 Euro.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
Ihr fragt euch vielleicht, wie man überhaupt zu einem Bentley kommt, und bis vor kurzem wäre mir nur der eine Weg eingefallen: Jener zur Bank. 321.000 Euro kostet der Flying Spur auf unseren Bildern, mit entsprechendem Rückhalt abzuheben beim privaten Geldinstitut. Hat man diesen Rückhalt nicht, dann wird es auch für einen Autotester schwierig. Die Briten bauen schließlich keine Inbus-Möbel - das ist handgezählte Automobilgeschichte, die seit 1919 aus den Crewe'schen Werkshallen rollt. Gut genug für die Royals, die Rockstars und die Banker dieser Welt.
Folglich wird es Sie nicht wundern, dass die Wurstsemmel mir in der Mittagspause aus dem Mund gefallen ist, als mir der Fuhrparkmanager der Porsche Holding folgendes schrieb: "Patrick, ich hab' da kurzfristig etwas Besonderes im Land. Einen Bentley Flying Spur, Werksauto aus Crewe. Falls du Interesse hast, lass es mich wissen." Schön, wie er das formuliert. Mir die Möglichkeit zugestehend, ich hätte vielleicht etwas Besseres zu tun. "Stephan, tut mir wirklich leid. Da ist Tischtennisturnier in Ranzelsdorf. Den müssen wir leider abblasen."
Das Besondere, ausgedehnt auf 5,3 Meter Länge.
Mach dich locker
Es passiert also wirklich, das Erlebnis Bentley, und die Geschichte beginnt lange vor der Schauraumtüre. Die erste Hürde, die es zu überspringen gilt, heißt Ehrfurcht, nämlich vor 5,3 Metern Länge, vor über zwei Metern Breite, vor 321.000 Euro, und vor dem Fakt, dass es nicht allzu viele dieser Presse-Werksautos gibt. Geht man als Stückzahldezimierer in die Markengeschichte ein, dann ist einem nicht nur der Privatkonkurs sicher, sondern auch die ewig nachhallende Kollegen-Rederei. Warst du nicht der, der den Flying Spur um den Zaun gewickelt hat?
Der freundliche Bentley Wien Mitarbeiter meint, das wird schon, also wird es wahrscheinlich. Wenn man einen Kleinbus schadenfrei durch die Innenstadt bekäme, dann würde das auch mit dem Flying Spur funktionieren. Außerdem wären ja 37 Kameras und 25 Einparkassistenten verbaut, die mit ihrer Intelligenz auch imstande wären, ein Sudoku aufzulösen.
Gas und Bremse hier, Schalthebel da, das runde Dings ist das Lenkrad, glücklicherweise auf der richtigen Seite, "und sobald du dich bereit fühlst, eine Hand davon zu nehmen: mit dem Drehrad an der Mittelkonsole kannst du die Fahrmodi ändern." Zur Auswahl stünden Sport, Bentley, Comfort und Custom, wobei ich an dieser Stelle vorgreifen muss: Comfort auszuwählen heißt im Flying Spur nicht, dass bis dahin etwa die Schneidezähne klappern. Vielmehr ist es als Freifahrtsschein zu verstehen, vor Bodenwellen und Fahrbahnschwellen einfach nicht mehr zu bremsen.
Mit Schmackes über die Betonplatten. Patrick merkt nichts.
Comfort klingt insofern gut, als dass ich mich zu Beginn sowieso nur auf das Vermeiden von Fremdkontakt konzentriere. Während ein Kleinbus nämlich darauf ausgerichtet ist, hin und wieder einen Randstein zu touchieren, glänzt am Bentley alles, und zwar von den Felgen über die Kotflügel bis zum Panoramadach hinauf. Jeder Radfahrer, der sich schnell noch vorbeischlängeln möchte, zerreißt dir die Nerven. Jeder Linienbus ist möglicherweise dein finanzieller Ruin. Das muss man erst einmal verkraften können.
Um sich die Anspannung nach den ersten Metern aus den Faszien zu drücken, kann man im Flying Spur auf eine Massagefunktion zurückgreifen, oder auf ein Naim for Bentley Soundsystem mit 2.200 Watt. Dann überträgt sich die Gelassenheit, die dieses Auto grundsätzlich offeriert, auch auf nervöse Teilzeit-Fahrer wie mich. Plötzlich vermag man einzuschätzen, dass er gar nicht so unpraktisch ist. Zum Beispiel schnürt die Allradlenkung den Radstand auf Kleinwagenmaße zusammen, falls man sich zwischen Privatflughafen und Zuhausen einmal in die Provinz hinein verirrt.
Wer Flying Spur fährt, parkt im Hangar, nicht in der Garage.
Plötzlich Prinzessin
Was der Bentley Flying Spur selbstverständlich auch kann, ist Stille - der Innenraum ist sozusagen hermetisch versiegelt. Das einzige, das von außen durchdringen darf, sind die Smartphones, die rings um einen aus den Taschen springen. In diesem Auto fällt man nicht auf, man wird schlagartig berühmt. Die Menschen erwarten Marko Arnautović oder Tiger Woods hinterm Steuer, keinen Patrick, aus Tulln, einer kleineren Stadt an der Donau.
Dass das zu interessanten Begegnungen führt, können Sie sich denken. Am Parkplatz der eigenen Wohnung, zum Beispiel: Da wird man vorsorglich des Platzes verwiesen von einem aufmerksamen Nachbarn, und klar, wer soll es ihm bei diesem Anblick verübeln? Ich, ein offenbar verzogener Schnösel, der mit einer Landyacht einen fremden Privatparkplatz inhaliert. Tut mir leid, Helmut, ich bin's wirklich. Den Bentley darf ich bis Montag leihweise fahren. Es ist mir angemessen unangenehm.
The places to be, vorne wie hinten.
Immerhin: Anderes als Ferrari, Lamborghini, Porsche und Co. penetriert der Flying Spur seine Umgebung nur durch Äußerlichkeiten. Akustisch tritt dieses Fahrzeug kaum in Erscheinung - oder gar nicht, wenn man das hier gezeigte Hybrid-Modell ordert. Das subtrahiert zwar zwei von den üblichen acht Zylindern, drückt aber den Alltagsverbrauch hinunter auf Kleinwagenwerte. Zwischen zwei und keinem Liter fließen aus dem Tank - natürlich nur, wenn man regelmäßig die Batterie auflädt. Degradiert man den Stromspeicher ausschließlich zum Gepäck, beginnt man eher bei 13 zu zählen.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass man irgendwo nicht auf einen wartet: Der Flying Spur S Hybrid ist selbstverständlich auch schnell - richtig schnell sogar. Die 544 PS Systemleistung erklimmen Landstraßentempo in 4,1 Sekunden, im Bedarfsfall wird man weiter chauffiert bis 285 km/h. Notiz nimmt man davon nur, weil sich die Champusflöten neigen.
Der Unterschied liegt in jedem Detail
Das, was nach einer Woche Flying Spur neben verschüttetem Sprudel noch hängen bleibt, ist die Erkenntnis, dass man sich Glück vielleicht nicht kaufen kann, aber Komfort allemal. Durch die gefühlt ausschließliche Verwendung von Leder und Metall. Durch die unerschöpfliche Liebe zum Detail. Durch die Entschleunigung hinauf bis 285 km/h. Und dadurch, dass die Verarbeitung jedes einzelnen Bauteils auch nach der tausendsten Berührung noch immer erfreut.
Das Wildleder am Schalthebel braucht natürlich kein Mensch. Es ist trotzdem toll.
Wie sehr man sich von der Überschwänglichkeit hat einlullen lassen, bemerkt man natürlich erst dann, wenn es zu spät ist. Wenn man den Flying Spur zurück auf den Schauraum-Parkplatz stellt, wenn man hinabsteigt in das eigene Gefährt. Es ist, als wäre man auf einen Spielzeugtraktor gesprungen - es klappert, es dröhnt, es tut dir weh. Wenn du eine Bodenschwelle jetzt wie das vergangene Wochenende lang begradigst, muss die Zahnfee deine Beißer aus dem Dachhimmel klauben.
Ob das den Obolus von 321.000 Euro rechtfertigt, wage ich nicht einzuschätzen. Eingepreist ist neben Qualität und Komfort jedenfalls auch das Standing der Marke. Man fährt keinen Audi, keinen Mercedes oder keinen BMW - deren Schlüssel könnten schließlich auch einen Kompaktwagen sperren. Dieser Trugschluss bleibt dem Bentley-Fahrer naturgemäß erspart. Wenn man das geflügelte B demonstrativ auf den Tisch rollen lässt, dann wissen die im Ritz, wohin sie den Champagner tragen müssen. In bestimmten Kreisen ist das sicherlich einiges wert.