Hyundai IONIQ 5 N 2024 Test: Wenn du das Elektroauto hast, dass Elektroautos hasst
Manchmal muss man Dinge schlechter machen, um sie gewaltig zu verbessern. Wie gut sich innovativer Rückschritt anfühlen kann, weiß man nach wenigen Sekunden im Hyundai IOINIQ 5 N.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
Die Elektromobilität hat uns Car Guys einiges gelehrt. Zum Beispiel, dass schnelles Beschleunigen zwar super ist, ohne Ramba-Zamba aber nur die halbe Miete. Wer seinen Fuhrpark nämlich gedenkt, strikt nach Zahlen zu ordnen, der wird anno 2024 zu folgender Erkenntnis gelangen: Das kleine Elektro-SUV Volvo EX30 braucht für den Sprint auf Hundert 3,6 Sekunden. Das ist schneller als ein Porsche 911 Carrera S. Ob man den Funkenspritzer statt des Elfers deshalb in der Enthusiasten-Garage parkt? Mitnichten.
So viel vorausgeschickt widmen wir uns trotzdem einem elektrischen Auto – und zwar einem, das sich zu ebenjenem Umstand bekennt. Besser ist nicht automatisch besser, schnell sein allein nicht der Gipfel der Freude. Bei Hyundai weiß man das – immerhin haben die Koreaner mit i30 N und i20 N vielleicht nicht die flottesten, aber wohl die spaßigsten Vertreter des Kompaktsport-Segments gestellt. Dass der neue IONIQ 5 N ähnliche Emotionen aus der Steckdose saugt, können und wollen wir trotzdem nicht glauben.
650 PS, 770 Nm, Allradantrieb, Achtgang-Getriebe, Stromtankstelle. Wie um Himmels Willen geht das zusammen?
Innovativer Rückschritt
Fangen wir damit an, was wir sicher wissen: Optisch ist der IONIQ 5 N auf Angriff getrimmt. Massive 21-Zoll Räder, kantige Stoßstangen, ein Diffusor und ein großer Spoiler am Heck – all das sind Zutaten, die wir so ähnlich von den anderen Ns kennen. Auch die sportlichen Sitze, das Lenkrad mit den N-Buttons und das N Performance Menü sind uns bereits ein Begriff, wobei nach einem genaueren Blick die ersten Überraschungen warten: Zum Beispiel lässt sich in letzerem via N Torque Distribution die Leistung in 10 Prozent Schritten zwischen Vorderachse UND Hinterachse verteilen. Von alles nach vorne bis alles nach hinten. Auch das ESP lässt sich vollständig deaktivieren – mit zwei Klicks kann man den IONIQ 5 N zur Heckschleuder machen. Das konnte bisher noch kein einziger Hyundai. Und es sollte noch viel besser kommen.
Ganz besonders stolz ist man bei Hyundai nämlich darauf, dass sich der IONIQ 5 N in einen Verbrenner verbessschlimmern lässt. Was das bedeutet? Wer genug hat vom linearen Elektroauto-Boost, der kann über die beiden N-Tasten am Lenkrad den Motorsound und die Achtgang-Automatik aktivieren. Richtig gelesen: Der IONIQ 5 N lässt sich per N E-Shift Funktion in einen Sportler mit Doppelkupplungsgetriebe verwandeln. Ebenso richtig: Eigentlich ist das pervers. Da arbeitet eine ganze Industrie jahrzehntelang daran, Schaltzeiten und Zugkraftunterbrechungen zu minimieren, um am Ziel angekommen wieder zurück zu entwickeln. So viel können wir aber jetzt schon versprechen: Diesen Rückschritt nimmt man mit Handkuss in Kauf.
Über das N Performance Menü lässt sich der IONIQ 5 N feinjustieren. Torque Distribution, Drift Mode, Batterievorkonditionierung - alles dabei!
Automatik oder Paddels: Hauptsache Getriebe
Dass man anfangs skeptisch ist, ist normal, das waren wir auch. Eine Software soll mechanische Handwerkskunst ersetzen, hunderte Bauteile gegen ein paar Zeilen Code. Dazu synthetischer Sound aus der Boxenmembran - das schreit geradezu nach gekünsteltem Fake. Mit dieser Vermutung lagen wir völlig daneben. Hyundai hat bei der Programmierung des E-Shift Mode wirklich an alles gedacht - von Zugkraftunterbrechung beim Schalten über ein gangspezifisches Schleppmoment beim Herunterschalten bis hin zu einer Drehmomentkurve, die an einen Turbomotor erinnert.
Im Automatikmodus sortiert das Getriebe die Gänge perfekt, ob man nun durch das Ortsgebiet schlendert oder auf eine Kurve zubremst. Ganz offen gesagt: An der Schaltlogik des simulierten E-Shift Getriebes können sich einige echte Automaten ein Beispiel nehmen. Im manuellen Modus knallt man die Gänge via Schaltpaddels hinein, und knallen darf man hier durchaus wörtlich verstehen: Die Schaltvorgänge ziehen durch das Auto wie sonst bei einem sequentiellen Getriebe, wer den Schaltpunkt verschläft, der landet voll im Begrenzer. Auch zu frühe Gangwechsel werden realitätsnah „bestraft“: Aus dem Drehzahlkeller zieht der IONIQ 5 N nur gemächlich an, los geht die Party erst ab 4.000 Touren. Egal, wer sich mit verbunden Augen in dieses Auto setzt: Man wird sich garantiert in einem Verbrenner wähnen.
Drehzahlmesser, Leerlauf, bis zu 8.000 Touren: Das ultimative Kaufargument für Car Guys, die ein Elektroauto suchen.
2,3 Tonnen Fahrmaschine mit 650 PS
Ebenfalls erstaunlich ist, wie gut der Hyundai sein 2.275 Kilogramm hohes Leergewicht versteckt. Der IONIQ 5 N bewegt sich überraschend agil, mit Überschuss am Gas brennt man Powerslides in den Asphalt. Oder ordentliche Drifts: Bei aktiviertem N Drift Mode darf das Heck völlig ausscheren, die 650 PS und 770 Newtonmeter lösen die Hinterräder in Rauchschwaden auf. Sinnlos? Natürlich! Aber auch unfassbar viel Spaß.
Im Falle des IONIQ 5 N scheint das grundsätzlich ein Credo der Hyundaianer zu sein: Freude over everything. Geradeaus brutal beschleunigen kann ein Elektroauto eh, dafür reichen viele Kilowatt und ein Satz ordentlicher Reifen. Der IONIQ 5 N ist da keine Ausnahme: Ohne Getriebe-Simulation geht er in 3,4 Sekunden auf Hundert, wer nicht möchte hört dabei keinen einzigen Ton. Was ein Elektroauto dagegen nicht kann – zumindest bis jetzt – ist den Fahrer in dieses Spektakel einzubinden. Dabei ist es genau das, wodurch sich die Freude am Fahren definiert. Das Spiel mit der Drehmomentkurve, das Durchsortieren der Gänge, das Gefühl, mit der Maschine zu interagieren. Wenn nämlich 650 Instant-PS an allen vier Rädern anliegen, hat man am Andrücken allein nur einen Augenblick Spaß.
In 3,4 Sekunden geht der IONIQ 5 N auf Landstraßentempo. Den meisten bleiben nur die Rückleuchten in Erinnerung.
Brauch' ich das?
Trotzdem sind einige Fragen berechtigt: Warum braucht man ein Elektroauto, das einen auf Verbrenner macht? Warum sollte man nicht einfach einen echten Sportler kaufen? Dafür liefert der IONIQ 5 N mehrere Gründe. Zum einen ist er neben ambitioniertem Gasgeber auch ein vollwertiges Auto. Fünf ordentliche Sitzplätze, 480 bis 1.540 Liter Kofferraumvolumen, modernstes Infotainment und viel Sicherheit an Bord. Außerdem ist er mit 640 PS und 770 Newtonmeter stärker als beispielsweise ein Audi RS6, kostet aber „nur“ 72.590 Euro. Und: Er macht auch seine Aufgabe als Elektroauto gut. Laden mit bis zu 240 kW, V2X-Fähigkeit, 800 Volt Bordnetz, immerhin 448 Kilometer Reichweite nach WLTP. Klar: Wenn man dem IONIQ die Sporen gibt, dann schafft man im echten Leben kaum 300 Kilometer. Dank 17 Minuten Ladezeit für 80 Prozent ist das aber ein verschmerzbares Übel.
Schaltpaddels mit Doppelfunktion: Im normalen Fahrbetrieb lässt sich darüber die Rekuperation einstellen. Bei aktiviertem N E-Shift Modus repetiert man die Gänge durchs Getriebe.
Ob das reicht, um den Hyundai IONIQ 5 N zum ultimativen Elektroauto für Car Guys zu machen? Ja, definitiv! Mehr Fahrspaß bekommt man derzeit in keinem anderen Stromer – sogar der Porsche Taycan oder der Polestar 2 BST edition 230 müssen sich hinten anstellen. Das, was uns Hyundai hier vor die Türe gestellt hat, ist zweifelsohne der Gipfel der elektrischen Fahrfreude, und der Urlaub mit den Kindern passt trotzdem hinein. Ob der IONIQ 5 N mehr Fahrspaß als ein Verbrenner-Sportler bietet? Nein, das nicht. Wer ein Auto kauft, um es ausschließlich von Kurve zu Kurve zu bewegen, der bekommt für gut 70.000 Euro auch eine Alpine A110. Zwar ist die nicht einmal halb so stark wie der Kraftlackl Hyundai, bringt mit 1.100 Kilogramm Leergewicht aber nur die Hälfte an Gewicht auf die Waage. Das Gepäck muss man dann aber mit der Post nachschicken.
Hyundai IONIQ 5 N (2024): Technische Daten, Österreich-Preis, Leistung, Gewicht, Verbrauch, Reichweite
Testwagenpreis: € 75.980,00 brutto (Basispreis Hyundai IONIQ 5 N: € 72.590,00)
Bestellbar: Ab sofort. (Konfigurator)
Maximale Leistung: 478 kW / 650 PS
Drehmoment: 770 Nm
0-100 km/h: 3,4 sek.
Vmax: 260 km/h
Leergewicht: 2.272 kg
Kofferraum: 480 - 1.540 Liter
Abmessungen Länge/Breite o.S./Höhe: 4.715/1.940/1.585 mm
Batteriekapazität: 84 kWh brutto/77,4 kWh netto
Verbrauch (WLTP): 21,1 kWh/100 km (getestete Version)
Reichweite (WLTP): 448 km (getestete Version)
Ladezeiten: 11 kW AC (0-100%: ca. 8h00) | 240 kW DC (10-80%: ca. 17 min.)
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