Neuer Porsche Taycan 4S im Test: (K)ein Produkt für die Masse
Nein, der neue Porsche Taycan 4S ist freilich nicht für die breite Masse gedacht. Die Einstiegshürde von 123.849 Euro ist nicht leicht zu überspringen, Förderungen oder Vorsteuerabzug kann man sich einrexen. Und trotzdem hat der Taycan für uns alle Relevanz: Er legt die Messlatte für den Umgang mit elektrischer Mobilität.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
Mit vollen Hosen ist leicht stinken, denke ich mir an der Ladestation. Die Anzeige der Stromtankstelle attestiert meinem Porsche Taycan 4S Testwagen eine Ladeleistung von über 300 kW - in 18 Minuten soll die Batterie von 10 auf 80 Prozent geladen werden. Keine kleine Batterie, versteht sich, sondern ein 105 kWh großer Stromspeicher, mit dem man ein Einfamilienhaus problemlos eine Woche lang durchfüttern könnte. Das koreanische Kompakt-SUV neben mir muss sich mit kaum 50 kW begnügen - da braucht es wohl noch ein bisschen Geduld. Der Weg zur praxistauglichen E-Mobilität führt zum einen über hohe Ladegeschwindigkeit - das stelle ich heute nicht zum ersten Mal fest.
Die zweite wichtige Kennzahl für beschwerdefreies Stromen: Der Luftwiderstand. Mit einem cW-Wert von 0,22 zählt der Porsche Taycan zu den aerodynamisch effizientesten Elektrofahrzeugen auf dem Markt, was besonders dann von Vorteil ist, wenn man lange Strecken mit gleichbleibend hoher Geschwindigkeit fährt. Auf der Autobahn in den von Elektro-Skeptikern gefürchteten Urlaub, zum Beispiel. Dort verbraucht der Taycan 4S im Range-Modus unserer Erfahrung nach zwischen 20 und 24 kWh bei 130 km/h - je nach Streckentopographie, Baustellenhäufigkeit, Verkehr und Außentemperatur. Das sind Werte, die die meisten Kompakt-SUVs nicht schaffen.

Teilt man die Batteriekapazität durch den Durchschnittsverbrauch - wir rechnen hier mit der Netto-Batteriekapazität von 97 kWh und einem mittleren Stromverbrauch von 22 kWh - lassen sich 440 Kilometer am Stück auf der Autobahn fahren. Danach steht die Fuhre aber stromlos still. Fährt man den Taycan von 100 Prozent auf 10 Prozent Ladestand herunter, bleiben immer noch 400 Kilometer übrig. Will man nur im optimalen Ladefenster fahren - also im Bereich von 10 bis 80 Prozent Batteriekapazität - kommt man etwa 310 Kilometer weit. Dann geht's wieder an den Supercharger, im Optimalfall für nur 18 Minuten, um weitere 310 Kilometer in den Akku nachzufüllen. Ja, das kann ein Ölofen besser - 1.000 Kilometer am Stück und so - es tut letztendlich aber nichts zur Sache. Wer einen Diesel kaufen möchte, soll sich einen Diesel kaufen. Wer elektrisch fahren möchte, der fährt eben elektrisch.
Für den gemischten Alltagsverkehr, der die meisten nicht über 1.000 Kilometer lange Autobahnetappen führt, sondern von zuhause ins Büro und wieder zurück, hat der Porsche Taycan 4S in unserer Ausführung 624 Kilometer WLTP-Reichweite im Tank. In der Realität entspricht das etwa 500 Kilometern - auch hier abhängig von Streckentopographie, Verkehr und Außentemperatur. Und vom gewählten Marschtempo sowieso.

Den Asphalt perforieren
Was ich bisher überhaupt noch nicht erwähnt habe, ist das, was einen Porsche vor allem ausmacht: Seine Leistung. Der Taycan 4S ist bei weitem nicht das stärkste Taycan-Modell, obwohl das Datenblatt 598 PS Maximalleistung, 710 Newtonmeter Drehmoment, 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 250 km/ Höchstgeschwindigkeit ausschildert. Von 80 auf 120 km/h braucht der Taycan 4S nur 2,1 Sekunden, für den Sprint von 0 auf 200 km/h vergehen 12 Sekunden. Natürlich begeistert der Taycan nicht nur geradeaus: Die erreichbaren Kurvengeschwindigkeiten sind erschütternd, die Bremsleistung der Standard-Stahlbremse ist völlig ausreichend, Fahrwerk und Lenkung bieten ebenfalls keinen Raum für Kritik. Eher für Bewunderung, so ehrlich muss man sein: Fahrdynamisch ist der Taycan die Messlatte für Elektroautos, Punkt.

Falls jemand dennoch meint, ein Taycan 4S würde nicht reichen: Es gibt ihn auch in der Turbo GT Weissach Variante mit 1.034 PS und 1.240 Newtonmeter. Dann geht's in 2,2 Sekunden auf 100 km/h, in 6,4 Sekunden auf 200 km/h, von 80 auf 120 km/h in 1,1 Sekunden, und notfalls weiter bis 305 km/h. Das ist für den eigenen Körper dann schon nicht mehr lustig. Auch dessen Basispreis von 243.982 Euro können nur die Wenigsten mit einem Lächeln verdauen.
Im Vergleich mit seinem Überdrüber-Geschwister gibt sich der Taycan 4S beinahe volksnahe: Allerdings ist der Basispreis von 123.849 Euro als Richtwert zu verstehen, der sich durch Optionen noch ordentlich auffetten lässt. In unserem Fall waren etwa die Performancebatterie Plus für 5.692 Euro (105 statt 89 kWh Bruttokapazität, 320 kW statt 270 kW Schnellladen), die 21-Zoll Mission E Räder für 4.368 Euro, Porsche InnoDrive für 2.705 Euro, die HD Matrix LED Scheinwerfer abgedunkelt mit Tagfahrlicht in gletschereisblau für 2.809 Euro, und so weiter, und so fort, an Bord.
Wer auf modernste Fahrwerkstechnik steht, kann zusätzlich das Porsche Active Ride Fahrwerk bestellen (8.337 Euro, autsch), das neben noch mehr Dynamik und Komfort auch eine Ein- und Ausstiegshilfe bietet. Vulgo: Das Auto springt einem beim Türöffnen 55 Millimeter weit entgegen, um das Einfädeln in die flache Karosserie etwas graziler zu gestalten. Kann man sich sparen, ehrlich gesagt - außerdem stehen auch ohne Superfahrwerk nach unseren Zusatzwünschen 156.025 Euro auf dem Preiszettel. Das ist viel, das ist klar. Aber das ist einfach so.

Innenraum und Infotainment: Porsche-Kenner kennen sich aus
Im Innenraum gibt es für Porsche-Fahrer keine Überraschungen: Das 10,9 Zoll große Infotainmentsystem ist wie bei allen neuen Modellen hauptsächlich über den Touchscreen zu steuern, die Menüstruktur ist ob ihres Umfangs als schlüssig zu bezeichnen. Einige Shortcuts sind beim Tachodisplay und der Klimaanlagen-Bedieneinheit zu finden - praktisch -, das Lenkrad hat normale Knöpfe - sehr praktisch - , auf der Beifahrerseite kann ein ebenfalls 10,9 Zoll großes Beifahrerdisplay ins Armaturenbrett geschraubt werden - auch sehr praktisch. Der Sound aus dem 1.393 Euro teuren Bose-Soundsystem ist gut, der aus dem 6.122 Euro teuren Burmester 3D High-End Soundsystem noch viel besser. Muss man sich nur leisten wollen auch.
Praktische Werte: Mäßig viel Kofferraum, keine Anhängelast
Dass ein Porsche kein Nutzfahrzeug ist, ist klar. Dass der Taycan aber gar keinen Anhänger ziehen darf, ist dann doch sehr vornehm. Sei es drum, man kann sich die Möbel ja liefern lassen auch - der Kofferraum schluckt ohnehin nur Kisten, keine Kästen. Mit einem Kofferraumvolumen von 407 Liter bricht der flache Stuttgarter keine Rekorde - die umlegbare Rücksitzbank ist das einzige Zugeständnis an die Neigungsgruppe Ikea.
Anschauen, abschauen, billiger machen
Am Ende unseres Tests mit dem Porsche Taycan 4S stellen wir fest: Elektromobilität geht eigentlich eh ganz gut, wenn man dafür fast 160.000 Euro ausgibt. Auf der Langstrecke überzeugen die 320 kW Ladeleistung und die rund 400 Kilometer reale Autobahn-Reichweite, im Alltag vor allem der Geräusch- und der Fahrwerkskomfort. Ja, wir wissen, wie das klingt: Üblicherweise ist sanftes Dämpfen nicht die Paradedisziplin eines Sportwagens. Der Taycan erledigt sie trotzdem mit Bravour. Die Kraft ist natürlich auch sehr super, wobei einem selbst dann nichts fehlen würde, hätte dieses Auto nur 300 PS.
Für mich als Ottonormalverbraucher gibt der Taycan jedenfalls Anlass zur Hoffnung: Technologie ist am Anfang immer sehr teuer, bis sie irgendwann demokratisiert und in Massen hergestellt wird. Das war schon beim Flachbildfernseher oder beim Computer so. Es wird vermutlich auch beim Elektroauto so sein. In einigen Jahren werden ein 800 Volt Bordnetz oder Ladezeiten von unter 20 Minuten uns nicht mehr entzücken, sondern gerade so zufriedenstellen. Mit dem Porsche Taycan ist man der Zeit jedenfalls ein Stück weit voraus.

Was wir gut finden: Reichweite, Ladezeit, Ladeleistung, Motorleistung, Bremsen, Fahrwerk, Lenkung, sogar der Komfort - so ziemlich alles, was dem Fahren zuträglich ist.
Was wir nicht so gut finden: Den hohen Preis und die mangelnde Praktikabilität (Abhilfe schafft beispielsweise der Porsche Taycan Cross Turismo).
Man kauft ihn, weil: man der Zeit voraus sein will. Technologisch einerseits. Aber auch ganz praktisch an der Ampel, zum Beispiel.
Mitbewerber: Audi e-tron GT, Tesla Model S, Lucid Air, Xiaomi SU7
Porsche Taycan 4S (2025): Technische Daten, Österreich-Preis, Leistung, Gewicht, Verbrauch, Reichweite
Testwagenpreis: € 156.025 exkl. Förderung und Rabatte (Basispreis: Ab € 103.317)
Bestellbar: ab sofort (Konfigurator)
Maximale Leistung: 380 kW/517 PS (440 kW/598 PS mit Overboost)
Drehmoment: 710 Nm
0-100 km/h: 3,7 Sekunden
Vmax: 250 km/h
Batteriekapazität: 105 kWh brutto/97 kWh netto
Verbrauch konfigurationsspezifisch (WLTP): 18,3 kWh/100 km
Reichweite konfigurationsspezifisch (WLTP): 624 km
Ladung: 11 kW AC | 320 kW DC (10-80%: 18 min)
Leergewicht konfigurationsspezifisch (DIN): 2.250 kg
Höchstzulässiges Gesamtgewicht: 2.880 kg
Zuladung: 630 kg
Anhängelast gebremst/ungebremst: 0 kg/0 kg
Kofferraum: 407 Liter
Länge/Breite o.S./Höhe: 4.963/1.966/1.379 mm
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