- Patrick Aulehla
- 17. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Nov.
Alpine A110 GTS im Test: Zum Abschied sag ich leise Scheise
Wir wollen nicht wehmütig erscheinen, aber Grund zur Freude bereitet uns das nahende Produktionsende der Alpine A110 nicht. Wir fahren die blaue Flunder ein letztes Mal, und glauben Sie uns: Das macht den Trennungsschmerz nicht besser.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
An Awards hat die Alpine A110 abgeräumt, was es abzuräumen gab: Allein Top Gear hat sie im Jahr ihres Marktstarts mit zwei Adelungen bedacht - sie wurde 2018 zum "Sports Car of the Year" und zum "Performance Car of the Year" gekürt. Die Jury des UK Car of the Year Awards wählte die A110 2019 zum "Best Performance Car", Auto Motor und Sport bezeichnete sie drei Jahre nach ihrer Markteinführung noch als "Best Car 2021".
Gordon Murray, dem Vater des legendären McLaren F1, diente die neue blaue Flunder als Vorbild für seinen GMA T.50 (alle, die nicht wissen, was ein GMA T.50 ist, bitte hier entlang). Auch James May besitzt eine - für ihn ist sie ein "verkleinerter Supersportwagen". Dass dieses Auto etwas kann, scheint also klar.

Vom Leichtgewicht zur Legende
Das Fundament für diese große Wertschätzung wurde aber nicht erst 2018, sondern bereits in den Sechzigerjahren gebaut. Jean Rédélé, ein Renault-Händler aus Dieppe und Gründer von Alpine, präsentierte auf dem Pariser Autosalon 1962 einen 3,85 Meter kleinen, 1,12 Meter flachen und mit rund 575 Kilogramm Leergewicht außergewöhnlich leichten Sportwagen, der ab 1965 erstmals über das Renault-Händlernetz vertrieben wurde.
Im Heck der A110 Berlinette arbeitete anfangs ein 52 PS starker 1,0 Liter Motor aus dem Renault R8, der sie 170 km/h schnell fahren ließ - für damalige Verhältnisse durchaus beeindruckend. Es folgten Updates auf 80 PS, 95 PS - 1965 folgte mit der A110 1300 S eine 120 PS starke Variante, die 228 km/h schnell fahren konnte (falls man sich das zutraute). 1971 drehte Alpine den Hahn noch weiter auf: Die A110 Berlinette 1800 leistete 180 PS und stoß so endgültig in Sportwagenregionen vor.

Zu dieser Zeit übertrug Renault seine gesamten Motorsportaktivitäten an Jean Rédélé und Alpine - mit großem Erfolg: Die Alpine A110 Berlinette gewann 1971 die Rallye Monte Carlo und die internationale Markenmeisterschaft. Viele weitere Motorsporterfolge sollten den Weg von "Le Turbot", der blauen Flunder, zieren - gekrönt von dem Gesamtsieg der Rallye-Weltmeisterschaft im Jahr 1973. In diesem Jahr übernahm Renault schließlich die Aktienmehrheit an Alpine, Rédélé wurde Président Directeur General und behielt diese Position bis 1978.
Die moderne Interpretation
Die Alpine A110 GTS, vor der wir heute stehen, fußt genau auf diesem Rezept: Eine flache, kompakte und leichte Karosserie. Ein fähiges Fahrwerk und eine präzise Lenkung. Ein Motor mit ausreichend, aber nicht übertrieben viel Leistung. Die neue Flunder wiegt 1.100 Kilogramm und leistet 300 PS - sie ist in Sachen Leistungsgewicht also ähnlich aufgestellt wie ein aktueller BMW M5 oder ein Porsche Carrera S. Dass sie dieses Leistungsgewicht mit wenig(er) Gesamtmasse erreicht, macht sie vor allem in Kurven zu einem außergewöhnlich fahraktiven und rückmeldungsstarken Sportwagen.
Das erste, was man am Steuer der Alpine A110 wahrnimmt, ist ihre Bescheidenheit. Mit 4,18 Meter Länge und 1,81 Meter Breite ist sie kaum größer als ein Renault Clio, was die Alpine nicht nur alltagstauglich macht, sondern auch das Fahren einer Ideallinie innerhalb einer Fahrspur ermöglicht. Man muss auf engen Bergstraßen keine Angst haben, von einem entgegenkommenden LKW ins Gebüsch gedrückt zu werden, man kann reagieren und ausweichen, man hat Platz.

Meine Heimat ist die Kurve
Außerdem ist die A110 im besten Sinne dieser Aussage nicht für Rundenrekorde gebaut. Ihr Charakter ist ein spielerischer, kein verbissener - das Fahrwerk federt sportlich, aber mit Restkomfort. Federn und Dämpfer dürfen dank des geringen Gewichts weicher sein, ohne an Präzision zu verlieren - zudem sitzen an Vorderachse und Hinterachse Doppelquerlenker, die für optimale Radführung und ausgezeichnete Rückmeldung sorgen. Wer Spaß am Autofahren haben möchte, wird von diesem Auto besser bedient als von jedem Porsche 911 GT3 RS.
Dass Spaß statt Rekordzeiten nicht bedeutet, dass die A110 ein langsames Auto ist, liegt auf der Hand: Der in der GTS-Variante 300 PS und 340 Nm starke 1,8 Liter Vierzylinder-Turbomotor stammt aus dem Renault Mégane R.S., ist also kein Kind von Traurigkeit, aber massenerprobt (Stichwort Haltbarkeit) - er wirft das leichte Aluchassis in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h.

Weniger Masse, mehr Freude
Weil das Triebwerk in Mittellage vor der Hinterachse liegt, gibt's aus dem Stand weg enorm viel Grip, und wer es doch einmal übertreibt mit der Lenkwinkel-Last-Kombination, wird vom ESP je nach Fahrprofil früh (Normal-Mode) oder gerade noch rechtzeitig eingefangen (Track-Mode). Querfahren geht mit der A110 trotz Mittelmotorlayout gut, sofern man es mit dem Winkel nicht übertreibt. Mangels Sperre muss man Drifts mit Schwung einleiten, dabei aber die physikalischen Grenzen einzuschätzen wissen. Bedenkt man diese nicht, setzt das Heck unaufhaltsam zum Überholen an und man steht bestenfalls verkehrt auf der Straße, oder liegt schlimmstenfalls im Graben auf dem Dach.
Klanglich muss sich der kleine Vierzylinder übrigens nicht verstecken: Die optionale aktive Sportabgasanlage bläst im Kaltstart relativ ungehemmt durch das zentrale Endrohr, wird nach einigen Sekunden wieder versöhnlich leise und bleibt im Teillastbetrieb auch so, sofern man den Normal-Mode aktiviert lässt. Im Sport-Mode stellt die A110 ab Leerlaufdrehzahl auf Durchzug - dann knallt es beim Runterschalten und Gaswegnehmen als würde der Endtopf explodieren, und mit der Versöhnlichkeit hat es sich gleich wieder erledigt. In Sachen Soundcharakter zeigt sich das Alpine-Triebwerk nicht Vierzylinder-typisch fad, sondern einigermaßen spannend und variabel - ein 9.000 Touren drehender Zehnzylinder-Sauger wird die A110 aber trotzdem nicht.

Ein weiterer Vorteil des geringen Gewichts: Die A110 hat für einen Sportwagen ausgesprochen wenig Durst. Wer locker durch die Landschaft rollt, wird eine Sieben, bei besonders zurückhaltender Fahrweise sogar eine Sechs vor dem Komma sehen. Das kann auch ein Dacia Sandero nicht besser. Die geringe Höhe (1,25 Meter) und der Verzicht auf Spoiler und sonstige Anbauteile machen die A110 außerdem zu einem effizienten Kilometerfresser auf der Autobahn: Bei 130 km/h fließen rund 7,5 Liter durch die Einspritzdüsen - auch das kann ein Sandero nicht besser.
Praktisch nur in der Tiefgarage
Was ein Sandero dagegen deutlich besser kann, ist transportieren. Die A110 bietet so gut wie keinen Platz für Mitbringsel oder Gepäck. Keine Becherhalter im Innenraum, keine Ablagen in den Türen, kein Handschuhfach vor dem Beifahrerplatz. Ein (aufpreispflichtiger) Köcher zwischen den Sitzen schluckt das Nötigste, das Handy bekommt man unter der Mittelkonsole unter, that's it. Immerhin hat die A110 zwei Ladeabteile: Im vorderen Kofferraum bringt man zwei kleine Trolleys und ein Kosmetiktäschchen unter, im hinteren Kofferraum eine Trainingstasche, aber keine Bierkiste (wir haben es versucht). Bier wäre hier ohnehin schlecht aufgehoben, denn der Mittelmotor macht das hintere Ladeabteil zum Backofen.

Abgesehen davon ist die A110 sehr umgänglich: Die Themen Abmessungen und Spritverbrauch haben wir abgehandelt, das für einen Sportwagen komfortable Fahrwerk auch - 300 oder 400 Kilometer am Stück lassen sich mit den in der GTS-Version serienmäßigen Komfortsportsitzen locker bewältigen. In der Basisversion sind Vollschalensitze von Sabelt verbaut - die sind naturgemäß etwas härter und unflexibler, aber keine Folterbänke. Das Infotainmentsystem ist... naja. Wir ersparen uns weitere Ausführungen und verweisen auf die serienmäßige Android Auto und Apple CarPlay Konnektivität.

Glück rechnet sich
Im abschließenden Kapitel wollen wir die Kosten besprechen, und auch hier gibt es primär Gutes zu vermelden. Die Alpine A110 GT, die Basisversion, kostet in Österreich inklusive aller Steuern und Abgaben 70.550 Euro. Dafür bekommt man ein im Grunde fertiges Produkt, das man gegebenenfalls noch mit Farbe aufhübschen kann (zum Beispiel mit legendären Alpine-Blau für 2.351 Euro). Als A110 GT leistet die Alpine 250 PS, was auf der Habenseite weniger Steuern bedeutet, aber auch weniger Rambazamba speziell bei höheren Geschwindigkeiten. 4,5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und 250 km/h Spitze sollten für die allermeisten Fahrsituationen aber ausreichen.
Die von uns getestete A110 GTS leistet 300 PS, beschleunigt in 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h und läuft 260 km/h schnell. Sie kommt mit mehr Ausstattung (Komfortsitze, Sportabgasanlage, Premium Audiosystem) und anderen Felgen, kostet aber gleich 16 Tausender mehr, nämlich 86.900 Euro.

Am Ende der Fahnenstange stehen die Alpine A110 R Modelle. Diese sind dann schon auf Rundenzeiten getrimmt, das merkt man an dem Spoiler, dem Frontsplitter, dem großen Diffusor, der Carbonmotorhaube und den Carbonfelgen. Kostenpunkt: 131.800 Euro. Dass die A110 R trotzdem noch 45.000 Euro günstiger ist als ein Basis-Neunelfer ist eine andere Geschichte.
Dass der Alpine A110 kein kommerzieller Erfolg beschwert war - sie verkaufte sich für einen Sportwagen passabel, aber nicht herausragend gut - erschließt sich unserem Verstand nicht. Vielleicht hat es etwas mit Zusatznutzen eines Sportwagens zu tun. Neben der Fahrfreude zählt nämlich auch die verlustfreie Kommunikation der eigenen Persönlichkeit, und die hat in zwei Meter breiten und fünf Meter langen 700 PS Krachern natürlich mehr Entfaltungsspielraum. Gut für die, die eine A110 besitzen - ihren Wert dürfte die blaue Flunder noch lange halten. Zeitlos schön ist sie sowieso.
Was wir gut finden: Das würde dauern. Fragen sie uns lieber, was wir nicht mögen.
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Was wir nicht so gut finden: Abgesehen vom Gameboy-Infotainment: nichts.
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Man kauft sie, weil: man Geschmack hat.
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Alternativen: Eine zweite A110.
Alpine A110 GTS (2025): Technische Daten, Österreich-Preis, Leistung, Gewicht, Verbrauch, Reichweite
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Testwagenpreis Alpine A110 GTS: € 91.530,00 brutto
Einstiegspreis Alpine A110 GT: € 70.550,00
Bestellbar: ab sofort (Konfigurator)
Motorleistung: 221 kW/300 PS
Drehmoment: 340 Nm
Motor: R4
Hubraum: 1.798 ccm
0-100 km/h: 4,2 sek
Höchstgeschwindigkeit: 260 km/h
Verbrauch (WLTP): 6,8 Liter/100 km
Realverbrauch im Test: 6,5 - 10 Liter/100 km
CO2-Emission (WLTP): 156 Gramm/km
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Leergewicht: 1.108 kg
Höchstzulässiges Gesamtgewicht: 1.360 kg
Abmessungen Länge/Breite o.S./Höhe: 4.181/1.798/1.252 mm
Kofferraumvolumen (VDA): 100 Liter vorne/96 Liter hinten
Anhängelast (gebremst/ungebremst): k.A.



















































