Elektroauto-Roadtrip mit dem Nissan Ariya: Wie lässt es sich mit dem Elektroauto verreisen?
Wie ist es, mit einem Elektroauto spontan über das Wochenende zu verreisen? Wir haben mit dem Nissan Ariya die Probe aufs Exempel gemacht und dabei eine wichtige Erfahrung gesammelt.
Text: Patrick Aulehla | Fotos: Oliver Hirtenfelder
Natürlich könnte eine Roadtrip-Story mit einer Packliste beginnen. Fünf Dinge, die man für das Reisen mit dem Elektroauto unbedingt braucht, oder so ähnlich. Da das elektrische Fahren aber eine vollwertige Alternative zum Verbrenner darstellen soll, gilt folgender Grundsatz auch für dieses: Das Auto bedeutet Freiheit, und Freiheit bedeutet: Spontanität. Ob diese Spontanität auch für die Elektromobilität gilt? Mit dem Nissan Ariya haben wir die Probe aufs Exempel gemacht.
Inhaltsverzeichnis
Erster Stopp: Grenze. Kilometer 70 | 82 Prozent Kapazität, 359 Kilometer Reichweite
Zweiter Stopp: Budapest. Kilometer 243 | 36 Prozent Kapazität, 152 Kilometer Reichweite
Tag 2: Von Budapest nach Bratislava | 32 Prozent Kapazität, 140 Kilometer Reichweite
Dritter Stopp: Ladung. Kilometer 310 | 15 Prozent Kapazität, 55 Kilometer Reichweite
Fünfter Stopp: Bratislava. Kilometer 452 | 50 Prozent Kapazität, 181 Kilometer Reichweite
Sechster Stopp: Zuhause. Kilometer 530 | 25 Prozent Kapazität, 90 Kilometer Reichweite
Last but not least: Die Kostenfrage. Zahlt sich Elektroauto fahren preislich aus?
Preis, technische Daten, Reichweite: Nissan Ariya Evolve+ Pack
Unsere Route und unsere Ziele
Von Wien aus führt uns unsere Reise über das Wochenende nach Budapest und Bratislava. In Summe macht das 522 Kilometer, hauptsächlich über Autobahnen. Dass diese nicht die Lieblingsdisziplin von Elektroautos ist, ist hinlänglich bekannt: Schnelles Fahren über lange Strecken sägt an der Reichweite, weil der Luftwiderstand hoch und die Rekuperationsmöglichkeiten – also Bremsphasen, in denen das Elektroauto Bewegungsenergie zurück in die Batterie laden kann – gering sind. Trotzdem werden wir erbarmungslos sein: 130 km/h Reisegeschwindigkeit (natürlich nur auf der Autobahn), um den Rest kümmert sich der adaptive Tempomat.
Ebenfalls erbarmungslos sind wir bei der Reiseplanung. Auf die verzichten wir nämlich gänzlich - auf die Ladestation-Suche schon Tage zuvor, auf das Kilometerzählen für die einzelnen Etappen - sondern machen nur das, was man auch mit dem Verbrenner machen müsste: Destinationen auswählen, die Ziele ins Navi eingeben, vor der Abfahrt volltanken, Sachen einpacken und Abfahrt.
Mehr Vorbereitung gönnen wir uns nicht: Vollladen in der Wohnungsgarage.
Unser Nissan Ariya scheint für dieses Vorhaben jedenfalls gut gerüstet. Mit 87 kWh netto Batteriekapazität ist sein Energiespeicher groß, mit 130 kW maximaler Ladeleistung ist er an der Ladestation flott. 35 Minuten für die obligatorische Schnellladung auf 80 Prozent ist eine Pausenzeit, die wir auf einer über 500 Kilometer langen Strecke auch mit dem Verbrenner einkalkuliert hätten.
Abfahrt: Wir starten los!
Mit 99 Prozent Saft im Akku starten wir in der Wiener Innenstadt los, unser Bordcomputer prophezeit 480 Kilometer Reichweite. Das erstes Ziel Budapest, rund 250 Kilometer von Wien entfernt, ist also locker drin. Also raus aus der Stadt, ab auf die Autobahn, und erst einmal: rollen lassen.
Der Nissan Ariya: Dem Komfort verschrieben
Eine Sache, die wir sofort feststellen: Der Nissan Ariya fährt sehr komfortabel. Das Fahrwerk federt angenehm sanft, die Geräuschkulisse ist beruhigen leise und die Lenkung zwingt uns nicht zur Schwerstarbeit. Überhaupt hat man das Gefühl, dieses Auto habe sich mehr dem entspannten Zusammensein verschrieben als krampfhaft eine Sportlichkeit heraufzubeschwören, die es in einem Familien-SUV ohnehin nicht braucht.
Und: Dieses Auto fällt auf. In der bronze-gold-schimmernden Akatsuki Copper Speziallackierung stechen die außergewöhnlichen Linien des Ariya besonders hervor, im Innenraum dominiert blaues Leder. Blau? Was im ersten Moment gewöhnungsbedürftig klingt, ist es gar nicht: Die Farbgebung passt hervorragend zu den übrigen Materialien in der schlicht gehalten Kabine, die trotz Designorientierung auch auf Funktionalität nicht vergisst. So sind zum Beispiel die Bedienelemente der Klimaanlage nicht in einem Touch-Menü versteckt, sondern unterhalb des Bildschirms mit einem Fingertipp zu erreichen. Kurz gesagt: Ein Ort zum Wohlfühlen.
Wohlfühl-Atmosphäre par excellence: Der Innenraum des Nissan Ariya
Erster Stopp: Grenze. Kilometer 70 | 82 Prozent Kapazität, 359 Kilometer Reichweite
Bei unserem ersten Zwischenstopp an der ungarischen Grenze – nein, nicht zum Laden, sondern um unsere Vignetten zu kaufen – haben wir noch 82 Prozent Kapazität in unserer Batterie. Der Tacho zeigt 23,8 kWh Durchschnittsverbrauch seit unserem Start – dafür, dass wir auf der Autobahn mit 130 km/h fahren, völlig in Ordnung, wie wir finden. Mit 359 Kilometern Reichweite im Tank sind die verbleibenden 160 Kilometer ein Kinderspiel.
Erstes Learning: Das Kaufen der ungarischen und slowakischen Vignette dauert länger als die Suche nach Ladestationen.
Zweiter Stopp: Budapest. Kilometer 243 | 36 Prozent Kapazität, 152 Kilometer Reichweite
Nach gut 2,5 Stunden Gesamtfahrtzeit sind wir in Budapest angekommen. Mit 36 Prozent Restkapazität und 152 Kilometer Restreichweite bleibt uns genug Spielraum, um die Stadt zu erkunden. Die Stadt an der Donau bietet viele interessante Sehenswürdigkeiten. Einige Tipps haben wir hier für euch zusammengefasst.
Parlamentsgebäude Budapest: Das imposante Wahrzeichen der Stadt
St. Stephans-Basilika: Kirche mit Fußballer-Grabstätte
Váci-Fußgängerzone: Die Einkaufsmeile Budapests
Große Markthalle: Köstlichkeiten shoppen
Synagoge der Dohánystraße: Die größte Synagoge Europas
Übernachtung im Hotel: Laden ist für Angsthasen
Um den Abenteuerfaktor hochzuhalten, entschließen wir uns, nicht einfach über Nacht beim Hotel zu laden. Sonst wäre die Roadtrip-Story nämlich hier zu Ende: Mit vollem Akku würde der Ariya locker bis Bratislava und zurück nach Wien kommen. Also: Keine Ladung, stattdessen im Hotel Clark gemütlich Abendessen und ein Feierabendbier genießen. Um die Ladung kümmern wir uns morgen unterwegs.
Tag 2: Von Budapest nach Bratislava | 32 Prozent Kapazität, 140 Kilometer Reichweite
Nachdem wir unser Frühstück inhaliert und ausgecheckt haben, wartet die nächste Etappe auf uns. Rund 200 Kilometer von Budapest nach Bratislava – mit unserer Restreichweite von jetzt 140 Kilometern in einem Zug nicht zu schaffen. Wir brauchen unterwegs also neue Energie. Weil in unserem Nissan Ariya das ProPilot Navi mit Ladestation-Suche verbaut ist, sollte auch das keine Challenge darstellen. Ziel eingeben, Ladestation entlang der Strecke suchen, fertig.
Dritter Stopp: Ladung. Kilometer 310 | 15 Prozent Kapazität, 55 Kilometer Reichweite
Wir erhalten mehrere Vorschläge und entschließen uns für die erstbeste Lademöglichkeit nach der Autobahn-Auffahrt. Die wird von einem uns unbekannten Anbieter in einem Industriegebiet betrieben, und passiert ist genau das, was ihr euch denken könnt: Sie war defekt. Der erste Spannungsmoment auf dieser bisher gemütlichen Reise, weil unsere Batterieanzeige schon auf Reserve leuchtet.
Kein Strom, aber immerhin Kaffee!
Vierter Stopp: Jetzt wirklich Ladung. Kilometer 343 | 6 Prozent Kapazität, 31 Kilometer Restreichweite
Also doch ein bisschen Planung – jetzt suchen wir nämlich nicht irgendeinen Ladeanbieter heraus, sondern verlassen uns auf das, was wir kennen: Große Marken wie IONITY, Moon oder Smatrics. Ein IONITY Ladepark ist 32 Kilometer entfernt, den steuern wir an. Allerdings nicht mehr mit 130 km/h, sondern mit Hundert, weil uns langsam der Saft ausgeht. Schlussendlich geht sich aber alles aus – der Ariya landet mit sieben Prozent Restkapazität am IONITY-Stecker und wir beim danebengelegenen Schachtelwirten.
Wir rekapitulieren kurz: Wer mit dem Elektroauto ins Ausland reisen möchte, tut gut daran, die Lademöglichkeiten im Voraus abzuklären. Zum einen ist die Ladeinfrastruktur nicht überall so gut ausgebaut wie in Österreich. Zum anderen sind nicht alle österreichischen Ladekarten mit ausländischen Anbietern – vor allem mit kleinen, lokalen – kompatibel.
Unser Tipp daher: Klärt im Voraus ab, welche Anbieter man im Zielland mit euren Ladekarten nutzen kann, und verlasst euch auf Autobahnetappen auf große Namen. IONITY verfügt beispielsweise über 2.749 Hypercharger-Ladestationen in ganz Europa, und die funktionieren unserer Erfahrung nach problemlos. Außerdem lassen sich deren Ladepunkte mit Ladekarten anderer Anbieter nutzen (beispielsweise Smatrics oder Wien Energie). Sollte die eigene Ladekarte nicht funktionieren, hat man zudem die Möglichkeit, per App oder QR-Code zu bezahlen. Liegen bleiben wird man also sicher nicht.
Am Ende alles gut: Der IONITY Hypercharger hat unseren Ariya in 32 Minuten auf 78 Prozent aufgepumpt. Das passt!
Fünfter Stopp: Bratislava. Kilometer 452 | 50 Prozent Kapazität, 181 Kilometer Reichweite
Nachdem wir den Ariya für gut 30 Minuten am Stecker hängen ließen, sind wir bei rund 80 Prozent Kapazität angekommen. Wir sind positiv überrascht – das deckt sich nämlich mit den Angaben aus dem Prospekt. Mit gut 350 Kilometern Reichweite geht es entspannt nach Bratislava, wo uns jede Menge Regen, aber auch schöne Attraktionen erwarten.
Hier eine Liste mit Dingen, die man in Bratislava gesehen haben muss:
Altstadt Bratislava: Viele Sehenswürdigkeiten
Burg Bratislava Staré Mesto: Schöner Burggarten und tolle Aussicht
Burg Theben: Historische Burgmauern und Gebäude
Čumil: Der weltbekannte „Gaffer“ in der Innenstadt
Danubiana Meulensteen Kunstmuseum: Modernes Museum mit vielfältigen Ausstellungen
Sechster Stopp: Zuhause. Kilometer 530 | 25 Prozent Kapazität, 90 Kilometer Reichweite
Nach einer ausgiebigen Sightseeing-Tour treten wir mit über 200 Kilometer Restreichweite die Heimreise an. Rund eine Stunde Fahrtzeit biegen wir mit 130 km/h herunter, um in Wien mit gut 100 Kilometern Restreichweite anzukommen.
Zurück in Wien, zurück am Stecker
Unser Reisefazit
Was lernen wir von unserem rund 560 Kilometer langen (522 Kilometer Fahrtstrecke und einige Sightseeing-Fahrten) Wochenend-Roadtrip mit dem Elektroauto? Abenteuerlich ist das elektrische Fahren nur dann, wenn die Ladepunkte nicht funktionieren. Übliche Distanzen von 200 bis 300 Kilometer stellen für den Nissan Ariya auch bei längeren Autobahn-Etappen mit 130 km/h Geschwindigkeit keine Herausforderung dar. Wenn man sich beim Laden unterwegs auf bekannte Marken verlässt, oder vorab klärt, welche lokalen Ladeanbieter im Zielland mit den eigenen Ladekarten kompatibel sind, braucht es nicht einmal ein Hotel mit Lademöglichkeit (von denen es übrigens immer mehr gibt). Die Ladeinfrastruktur an den wichtigsten Verkehrsachsen ist gut ausgebaut – in ganz Europa.
300 Autobahn-Kilometer am Stück? Für den Nissan Ariya keine Challenge.
Etwas mehr Planung erfordern Reisen in entlegene Gebiete. Unser Tipp hierfür: Bevor am die Autobahn verlässt, noch einmal vollladen, um genügen Reserven zu haben, falls sich vor Ort keine Lademöglichkeit findet. Notfalls könnte man am Ziel auch an der Haushaltssteckdose laden, das dauert aber lange und ist ineffizient.
Last but not least: Die Kostenfrage. Zahlt sich Elektroauto fahren preislich aus?
Eine wichtige Frage haben wir uns für den Schluss aufgehoben: Ist Elektroauto fahren günstiger als Verbrenner fahren? Nun ja: jein. Wenn man zuhause lädt, im Optimalfall über die eigene Photovoltaikanlage, dann ist elektrisch fahren definitiv günstiger als Kraftstoff verbrennen. Bei Strompreisen von derzeit 21 Cent pro kWh (aktuell für Wien bei Neuabschluss) und einem durchschnittlichen, gemischten und durchaus realistischen Stromverbrauch von 20 kWh pro 100 Kilometer im Nissan Ariya ergeben sich Kosten von etwa vier Euro pro 100 Kilometer. Kalkuliert man mögliche Ladeverluste mit ein (der ADAC hat bei einem Test zwischen 6,3 und 9,7 Prozent an der AC-Wallbox festgestellt), landet man bei aufgerundet 4,40 Euro pro 100 Kilometer.
Ein Benziner mit rund sieben Liter Durchschnittsverbrauch frisst auf die gleiche Distanz ein deutlich größeres Loch ins Börserl: Bei den derzeitigen Spritpreise von etwa 1,70 Euro pro Liter Super fließen 11,90 Euro vom Tank in den Motor.
Anders stellt sich die Sache dar, wenn man unterwegs lädt. Ziehen wir als Beispiel eine Smatrics Ladekarte ohne Grundgebühr und Bindung heran (zur Tarifübersicht von Smatrics). Je nach Ladeleistung ergeben sich für unseren Nissan Ariya mit 20 kWh Durchschnittsverbrauch folgende Preise für 100 Kilometer fahren:
AC-Laden bis 19 kW bei Smatrics
Aktionspreis (Stand 18.09.2023): 48 Cent pro kWh. Ergibt 9,60 Euro für 100 Kilometer
Normalpreis: 60 Cent pro kWh. Ergibt 12 Euro für 100 Kilometer
DC-Laden bis 79 kW bei Smatrics
Aktionspreis (Stand 18.09.2023): 52 Cent pro kWh. Ergibt 10,40 Euro pro 100 Kilometer
Normalpreis: 65 Cent pro kWh. Ergibt 13 Euro für 100 Kilometer
HPC-Laden ab 80 kW bei Smatrics
Aktionspreis (Stand 18.09.2023): 56 Cent pro kWh. Ergibt 11,20 Euro pro 100 Kilometer
Normalpreis: 70 Cent pro kWh. Ergibt 14 Euro für 100 Kilometer
Auswärts laden ist also nicht wesentlich günstiger als Kraftstoff tanken. Lädt man die meiste Zeit über zuhause und nutzt öffentliche Ladestellen nur für Urlaubsfahrten, kann man in Summe dennoch einiges an Geld sparen. Und: Das Elektroauto ist auch in der Erhaltung deutlich günstiger. Weniger Servicekosten, weniger Reparaturen, weniger Verschleiß, dazu deutlich günstigere Steuern und Versicherungsabgaben. Zusammen mit den Ankaufsförderungen für Privatpersonen von aktuell bis zu 5.000 Euro für Elektroautos und bis zu 1.800 Euro für Ladestationen ergeben sich in Summe große Einsparungsmöglichkeiten.